Ich bin als gebürtiger West-Berliner mit dem Blick auf die Mauer aufgewachsen. Ich habe es niemals für möglich gehalten, dass dieses Bauwerk jemals verschwinden würde. Meine aus Ostpreußen stammende Mutter hatte uns Kindern den Fall der Mauer zwar stets gepredigt, aber ich hatte nicht daran geglaubt.
Von meinem Kinderzimmerfenster aus konnte ich alles live und in Farbe miterleben, selbst als Honecker im schwarzen Citroën seine Truppen besucht hat. Ich bekam das Gejaule der Wachhunde mit und irgendwie hatte ich so ein ständiges Big Brother-Feeling. Eines Tages beobachtete ich zurück. Ich nahm mein Teleskop und schaute mir die Grenzbeamten in ihrem Wachturm an – bis ich bemerkt wurde. Da lachte der Grenzer, nahm sein Gewehr und legte auf mich an! Ich warf mich auf den Boden des Balkons und robbte mich in die sichere Wohnung zurück, mein Fernrohr stand noch die ganze Nacht draußen.
Als ich 18 Jahre alt war, ist die Mauer dann doch gefallen und dieses Ereignis beeinflusste meine Sicht auf die Welt stark. Dinge, die unmöglich erschienen, wurden plötzlich möglich.
Am 10. November 1989 fuhr ich ganz normal zu meiner Oberschule im Wedding. Zuvor hatte ich keine Nachrichten gesehen. Ich wunderte mich über die Trabbis, die in der Osloer Straße die Luft verpesteten. Natürlich gab es an dem Tag keinen normalen Unterricht und Freunde von mir berichteten von ihren unglaublichen Abenteuern der letzten Nacht. Einer war doch glatt im Trubel auf die andere Seite gegangen und hatte Sightseeing im Osten gemacht! Zu der Zeit lag ich schon im Bett.
Ich wollte mir den sagenumwobenen Osten auch einmal anschauen, aber wir Westberliner waren von der neuen Reisefreiheit ja ausgeschlossen. Mühsam beantragte ich in Steglitz in einer Außenstelle des Innenministeriums der DDR ein Visum. Dann reiste ich ganz regulär ein. Ich hatte immer Herzklopfen bekommen, wenn ich mit der U-Bahn im Schritt-Tempo durch die Geisterbahnhöfe unter Ostberlin fuhr. Und nun durfte ich aussteigen! Im Palast der Republik kaufte ich mir DDR-Briefmarken und in einer Kaufhalle am Alex DDR-Süßigkeiten. Als ich dann wieder im sicheren Westen war, fiel mir ein Stein vom Herzen, denn man ließ mich tatsächlich wieder gehen!
Mein Mauerblick im Kinderzimmer hatte mich auch künstlerisch inspiriert. Dieses Bild malte ich im Kunstunterricht (die Fabrikschlote, der Panzer und das Fußballstadion entsprangen meiner Fantasie, genau wie Klorolle und Aschenbecher 😀).
Als die Mauer dann abgerissen wurde, konnte ich das auch live beobachten. Ich sehnte den Tag herbei, an dem die Mauer vollkommen aus der Stadt verschwunden sein würde. Leider machte ich von den Abrissarbeiten keine Fotos oder Zeichnungen.
Es ist schön, dass die Mauer heute – bis auf ein paar Gedenkstätten – verschwunden ist. Meinem Sohn habe ich in der Bornholmer Straße die alte Zeit erklärt. Am Ende des Tages ist er mit einem Seufzen eingeschlafen. Er freut sich, dass es die Mauer nicht mehr gibt, denn nur so konnten sich seine Eltern kennenlernen.